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Die Schließung des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau vor 25 Jahren – das Ende von Zwang und Gewalt in der Heimerziehung?

“Es ist noch nicht vorbei”

Nach Berichten von unhaltbaren Erziehungsmethoden in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH und der Vorlage des Untersuchungsberichtes einer unabhängigen Experten- kommission vom 30.10.2013, der schwere Missstände feststellte, entzog das Land Brandenburg dem Betreiber die Betriebserlaubnis für alle drei Standorte der Haasenburg-Heime. Einzelne Vorwürfe erinnern erschreckend an Erziehungsmaßnahmen im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, mit denen der Wille des Einzelnen gebrochen und durch totale Unterordnung eine äußere Anpassung erzwungen werden sollte.
Wie ist es möglich, dass heute, 25 Jahre nach der Friedlichen Revolution, erneut Kinder und Jugendliche in Heimen ähnlichen Zwangs- und Gewaltmaßnahmen wie im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau ausgesetzt waren?
Experten und Betroffene von Heimerziehung damals und heute kamen ins Gespräch zu Hintergründen, Ursachen und nötigen Schritten, wie traumatische Heimerfahrungen von Kindern und Jugendlichen künftig verhindert werden können.

Bestürzt lauschten 35 Besucher den Teilnehmern des Podiums “Die Schließung des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau vor 25 Jahren – das Ende von Zwang und Gewalt in der Heimerziehung?“
Die Beschreibung von Dilek Tüfekci, Schwester eines Betroffenen der Haasenburg-Heime, des Einführungsrituals in den kürzlich geschlossenen Brandenburger Haasenburg Heimen, erinnerte viele Zuhörer sehr stark an die Prozedur, welche ankommende Jugendliche im GJWH Torgau erlebten: Die Abgabe der persönlichen Kleidung, mehrtägige Isolierung, Lernen der Hausordnung usw..
Der Hamburger Sozialpädagoge Prof. Dr. Michael Lindenberg kritisierte die kreisende Verantwortung “im heutigen Jugendhilfesystem”. Man müsse wegkommen vom Anstaltsdenken, so der Experte, der sich seit vielen Jahren gegen die geschlossene Unterbringung von schwierigen Jugendlichen engagiert.
Die Verletzung von Menschenrechten mache “krank an Leib und Seele”, mahnte der Politologe Dr. Christian Sachse am Tag des Grundgesetztes.
Corinna Thalheim, Vorsitzende der Betroffeneninitiative “Missbrauch in DDR-Heimen” e. V. und Betroffene des GJWH Torgau zeigte sich schockiert, dass auch heutigen in Jugendhilfeeinrichtungen traumatisierten Jugendlichen nicht geglaubt werde, wenn sie von ihren Erfahrungen berichteten.
Betroffene der Haasenburg-Heime benötigen – wie Betroffene des GJWH Torgau – die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und Unterstützung bei der Aufarbeitung. Prof. Dr. Lindenberg, Mitglied im Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung, Frau Dilek Tüfekci, Frau Corinna Thalheim und die Initiativgruppe GJWH Torgau wollen zukünftig eng zusammenarbeiten, um gemeinsam Aufklärungsarbeit über Geschlossenen Unterbringung und deren traumatische Folgen für Kinder und Jugendliche zu leisten.

Ein wichtiger Aspekt um gegen geschlossene Heimunterbringung vorzugehen, darüber waren sich am Ende alle einig, ist weitere Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit zum Thema repressiver Heimerziehung. Die Aufklärungsarbeit der Gedenkstätte wird dabei seit dem 23. Mai durch die neue Wanderausstellung “Auf Biegen und Brechen” zur Geschichte des Geschlossenen Jugendwerkhofes unterstützt, welche in Bildungseinrichtungen und öffentlichen Institutionen bundesweit zu sehen sein soll.

Podiumsteilnehmer:

Prof. Dr. Michael Lindenberg, Sozialpädagoge/Kriminologe, Evangelische Hochschule “Rauhes Haus” Hamburg

Dr. Christian Sachse, Theologe/Politikwissenschaftler, Mitglied Wissenschaftlicher Beirat der Gedenkstätte GJWH Torgau

Corinna Thalheim, Betroffene GJWH Torgau, Vorsitzende Betroffeneninitiative “Missbrauch in DDR-Heimen” e. V.

Dilek Tüfekci, Schwester eines Betroffenen der Haasenburg Heime, Standort Müncheberg

Moderation: Bastian Wierzioch, MDR FIGARO